Die Story

  Jeanne schwebte über den Wolken und irrte ziellos umher. Vorsichtig sog sie den längst bekannten Duft von Feuchtigkeit und Regen ein. Obwohl sie schon so oft hier gewesen war, kam ihr alles doch so fremd vor. Wie lange dauerte es noch? Wie lange musste sie noch suchen? Sie seufzte. Es war jedes Mal dasselbe, und doch hatte sie das Gefühl, das dieser Traum wichtig war.

  Sie seufzte erneut. Jede Nacht war es derselbe Traum. Jede Nacht fand sie sich schwebend über den Wolken und suchte sie. Jede Nacht brauchte sie – so schien es ihr – Stunden, um sie wiederzufinden. Obwohl sie schon so oft hier gewesen war, konnte sie sich den Weg zu ihr nicht merken.

  Jeanne stoppte mitten im Flug. War sie gestern hier auch vorbeigelaufen? Warum konnte sie sich nicht erinnern? Sie kratzte sich ärgerlich am Kopf. Es war geradezu lächerlich! Sie war schon so oft hier oben gewesen und konnte sich nicht mal daran erinnern, hier vorbei geflogen zu sein. War das überhaupt noch normal?

  „Ich sollte mal eine Karte malen...,“ dachte sie zerknirscht. Vielleicht wäre das keine so schlechte Idee gewesen, wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, dass die Wege jede Nacht anders waren. Genau wie bei dem Spiel <<Das verrückte Labyrinth>>, das sie schon oft genug auf die Palme brachte.

  Jeanne fasste sich an ihren Gürtel, um sicherzugehen, dass ihr Schwert noch daran befestigt war. Trotz ihrem guten Umgang mit den verschiedensten Waffen hatte sie sich für die Schwertkunst entschieden. Dieses Schwert hatte sie von ihr bekommen. Hier oben. Über den Wolken. Im Traum! Vermutlich hätten die anderen sie ausgelacht. Wie kann man denn etwas im Traum überreicht bekommen? Aber so war es passiert. Sie hatte das Schwert im Traum überreicht bekommen und als sie am nächsten Tag aufwachte, hielt sie die Schwertscheide samt Schwert fest in der Hand. Dasselbe Schwert, das sie im Traum bekommen hatte.

  Und nun lernte sie nachts bei ihr die verschiedensten Techniken und den richtigen Umgang mit dem Schwert. Wenn sie nur nicht immer so lange brauchen würde, um den richtigen Weg zu finden...

 Sie flog weiter. Irgendwie würde sie schon den Weg zu ihr finden. Zu der Person, die sie zwar nicht kannte, aber die ihr doch ein vertrautes Gefühl gab. Doch an wen erinnerte sie sie bloß??

  Plötzlich lichtete sich die Sicht vor ihr und die Wolken bildeten langsam den Umriss eines gigantischen Schlosses: Sie hatte ihren Trainingsort endlich erreicht!! Erfreut erhöhte sie ihr Tempo, als sie ihre Lehrerin schon von Weitem sah. Naja, eigentlich war es ihrer Meinung nach ihr Meister, aber sie wollte nur ihre Lehrerin sein, was Jeanne nicht wirklich verstand. Dennoch schenkte sie ihrer Lehrerin denselben Respekt wie ihrem anderen Meister, weil sie schon so vieles bei ihr gelernt hatte. Sogar mehr als bei ihrem Meister.

  Jeanne landete neben ihrer Lehrerin und begrüßte sie. „Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, aber ich hab mich wieder verirrt...,“ entschuldigte sie sich sofort.

  „Schon okay, Jeanne. Du bist immerhin pünktlicher als gestern da!“, meinte ihre Lehrerin lächelnd.

  „Mir kam es aber doppelt so lang vor wie gestern...,“ entgegnete Jeanne und kratzte sich am Kopf.

  „Das hat schon seine Gründe.“

  „Hä?“

  „Du wirst es noch früh genug erfahren.“

  „Okay...“

  „Kannst du schon die Technik der Schwalben-Klingen?“

  „Leider noch nicht so gut, weil ich beim Meister noch was zu tun hatte...“

  „Das ist nicht gut. Gar nicht gut, Jeanne. Denn diese Technik ist sehr wichtig, weil sie eine der wichtigsten Grundlagen der Phönix-Technik ist.“

  „Ja, tut mir leid...“

  „Naja, dann bring ich dir eine weitere Grundlage bei: Die Schlangen-Technik. Aber auf das nächste Mal kannst du beide Techniken, klar?“

  „In Ordnung.“

  „Sehr gut.“

  „Aber wieso ist die Schlangen-Technik bei der Phönix-Technik so wichtig?“

  „Also: Bei der Phönix-Technik bündelst du hauptsächlich deine Energie in dein Schwert, um diese dann auf deinen Gegner zu schleudern. Doch dabei kann das Schwert sehr leicht aus deiner Hand geschlagen werden, weil dir das Schwert wegen deiner Konzentration, die Energie zu bündeln, sehr schwer vorkommt und dein Tempo sich drastisch verringert. Die Schlangen-Technik dient dazu, deine Geschwindigkeit und Reaktion zu trainieren.“

  „Mit anderen Worten: Je schneller ich das Schwert bewegen kann, desto wirkungsvoller ist die Schlangen-Technik?“

  „Genau!“

  „Das ist ja praktisch! Denn so kann ich diese Technik auch dazu nutzen, den Gegner zu verwirren, oder?“

  „Richtig.“

  „Aber wird das nicht noch schwieriger, meine Energie auf etwas zu bündeln, dass sich so schnell hin- und herbewegt wie eine Schlange? Außerdem wird diese Technik die meisten Krieger nur vorerst überraschen, denke ich, denn sie sind bestimmt nicht so langsam, oder?“

  „Du denkst weit voraus, Jeanne! Kluges Mädchen. Die beiden Antworten auf deine Fragen wirst du demnächst erfahren!“

  „In Ordnung.“

  „Gut, dann zeige ich dir erstmal, wie die Schlangen-Technik ungefähr aussieht!“

  Ehe Jeanne sich versah, hielt ihre Lehrerin schon ein Schwert in der Hand. Aber das überraschte sie nicht sonderlich. Immerhin war es schon merkwürdig genug, im Traum Unterricht zu bekommen...

  „Jetzt pass genau auf!“

  Es ging blitzschnell und Jeanne konnte nicht mal reagieren. Ihre Lehrerin bewegte ihr Schwert blitzschnell hin und her und das Schwert war mal in der linken, mal in der rechten Hand, mal auf der linken, mal auf der rechten Schulter. Trotz ihrer Konzentration kam Jeanne mit dem Tempo nicht mit.

  Nach einer Weile hörte ihre Lehrerin auf. „Und, alles verstanden?“, fragte sie grinsend.

  „Äh, nicht wirklich. Es ging viel zu schnell für mich.“

  „Das hat seine Richtigkeit. Aber beim zweiten Mal gewöhnt man sich dran. Soll ich es nochmal vorführen?“

  „Wäre nicht schlecht!“

  „In Ordnung.“

  Jeanne’s Lehrerin wiederholte die Technik noch einige Male, bis diese es dann zum größten Teil verstand.

  „Gut, dann übst du es so, wie du es verstanden hast, und führst sie mir nächstes Mal vor. Wenn du Fehler machst, korrigiere ich dich dann.“

  „Wach ich wieder auf?“

  „Nein, du wirst in 20 Sekunden von deiner Freundin geweckt.“

  Das stimmte. Plötzlich löste sich das Schloss auf und Jeanne wurde zurückgezogen. Dann verschwand alles vor ihren Augen und sie stürzte in tiefe Dunkelheit...

 

  Irgendjemand rüttelte grob an ihr.

  „Jeanne, wach auf!“

  „Hm...?“

  „Jeanne! Mach deine Augen endlich auf! Wir müssen heute das Frühstück vorbereiten, schon vergessen?“

 

 

  Jeanne grummelte etwas Unverständliches und drehte ihrer Freundin den Rücken zu.

  „Jeanne! Mir reicht’s! Wenn du nicht innerhalb von 10 Sekunden aufstehst, hole ich einen Eimer eiskaltes Wasser aus den Brunnen und kipp es über dich! Dann darfst du das Frühstück vorbereiten, ohne dich vorher abzutrocknen!“, drohte ihre Freundin.

  Jeanne regte sich nicht.

  „Ich zähle bis zehn! Wenn du dann nicht aufstehst...“

  Jeanne vergrub ihren Kopf unter ihrem Kopfkissen.

  „Eins...zwei...drei...vier...fünf...sechs...sieben...acht...neun...“

  Jeanne schlug die Decke über ihren Kopf.

  „9 ¼...9 ½...9 ¾...Zehn! Das reicht, Jeanne! Ich hab dir genug Zeit gegeb-“

  Weiter kam ihre Freundin nicht, weil ihr ein Kopfkissen mitten ins Gesicht flog.

  „Musst du morgens immer so laut sein, Navena?“, fragte Jeanne und raufte sich müde ihre langen, rotbraunen Haare.

  „Ha, ha! Wie witzig! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich ganz bestimmt nicht geweckt, Jeanne!“, rief Navena und schmiss den Kissen wieder zurück. „Und jetzt beeil dich, wir sind schon ziemlich spät dran!“

  „Achja? Wir sind nämlich genau richtig! Du hast mich bestimmt wiedermal 10 Minuten früher als sonst geweckt, oder?“, bohrte Jeanne weiter und spielte mit einer Haarsträhne, die sie sich um den Finger wickelte.

  „Nein, hab ich nicht! Und jetzt beeil dich!“

  „Navena!“

  „Das ist die Wahrheit!!“, versicherte ihre Freundin.

  „Naja, dann macht es ja nichts, wenn ich noch 1, 2 Minuten schlafe...“, meinte Jeanne und legte sich wieder hin. Das half immer, damit Navena endlich mit der Wahrheit herausrückte – auch dieses Mal wieder.

  Diese gab sich geschlagen. „Okay, okay, du hast gewonnen! Wir sind genau richtig! Aber jetzt beeil dich bitte!“

  „Dann geh du zuerst ins Bad. Ich zieh mich erst um,“ schlug Jeanne vor und stand auf.

  „Okay.“

  Jeanne stand seufzend auf und öffnete seufzend ihren Schrank. Neben ihren Klamotten und Kampfanzügen standen da noch Bücher über Kampfkunst und Magie. Doch in der hintersten Ecke ihres Schrankes hatte sie ihr Schwert versteckt. Nur sie und Navena wussten davon. Ein Blick auf die Wanduhr riss sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Schnell suchte sie sich was zum Anziehen aus und zog sich um. Gerade rechtzeitig, denn 2 Sekunden später kam Navena wieder zurück ins Zimmer.

  „Das Bad ist frei.“

  „Okay. Dann geh du schonmal runter. Falls noch Zutaten fehlen, kannste sie schon mal kaufen gehen, während ich dann mit dem Frühstück anfange, nachdem ich mich gewaschen hat.“

  „Hatte ich eh vor,“ meinte Navena und schritt aus dem Zimmer. Jeanne richtete noch ihr Bett zurecht, bevor sie anschließend ins Bad ging.

 

  Nach dem Waschen ging sie dann runter in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Käse-Omelett. Wie jeden Morgen. Sie fragte sich, wann sich ihr Meister daran sattessen würde, denn es ist ihr schon nach drei Tagen über gewesen. Den anderen ging es nicht anders. Am Anfang hatten sie alle gehofft, dass der Meister zwei, drei Tage später mal was anderes zum Frühstück wollte, aber inzwischen hatten sie die Hoffnung schon längst aufgegeben.

  Sie dachte nach, während sie sich ihre Haare mit einem Band zu einem Zopf zusammenschnürte. Wie viele Leute waren eigentlich noch da, abgesehen von denen, die nicht da sind, weil sie was zu erledigen hatten. „Also, Navena...ich...Rin...Yukiko...Shadow...und Meister Hikari natürlich! Also 6 Portionen. Haben die anderen ein Glück, dass sie nicht da sind! Denn die müssen jeden Morgen bestimmt nicht immer dasselbe essen...,“ murmelte Jeanne vor sich hin und machte sich auf den Weg in den Keller, um die benötigten Zutaten zu holen.

 

  Sie hasste es, dort hinunterzugehen. Die Kälte lähmte ihre Sinne und schwächte außerdem einen Teil ihrer Kräfte. Yukiko hatte dieses Problem nicht. Im Gegenteil: Die Kälte verstärkte ihre Fähigkeiten. Jeanne beeilte sich, alles Nötige schnell zusammenzusuchen und schleunigst wieder den Keller zu verlassen, bevor sie dann sogar noch vergaß, was sie hier unten machte und später dann nochmal runterkommen musste. Zum Glück lag zum Teil alles griffbereit. Jeanne dankte ihrer Freundin im Stillen, denn diese wusste, dass die Kälte ihre Schwäche war.

  Kaum hatte sie den Keller verlassen, hörte sie plötzlich jemanden schreien. „Du doofe Katzendämonin!! Gib mir gefälligst meine Sachen zurück!!“ Jeanne starrte aus dem Fenster, wo zwei Sekunden später eine Gestalt vorbeisprang. Dicht gefolgt von Navena, die diese Gestalt wütend verfolgte. Schnell stellte Jeanne die Sachen auf den Küchentisch ab und rannte hinaus, um nachzusehen, was geschehen war.

 

  „Navena?! Was ist denn passiert??“, fragte Jeanne erstaunt, als sie ihre Freundin endlich eingeholt hatte.

  „Diese Diebin hat mir meinen Bogen geklaut! Mit dem Köcher, wo ich meine neuen Pfeile drin hatte!“, regte sich Navena auf.

  „Was nimmst du zum Einkaufen auch deine Waffen mit?“

  „Ich hab meinen Bogen zur Reperatur abgegeben und gleichzeitig neu anstreichen lassen, weil die alte Farbe schon zum größten Teil abgeblättert war. Und kaum bin ich weiter, wurde ich bestohlen!“, erzählte Navena entrüstet.

  „Dann schnell hinterher!!“, meinte Jeanne seufzend und rannte der Diebin hinterher. Navena folgte ihr.

 

  „Bist du dir sicher, dass es eine Katzendämonin war?“, fragte Jeanne nach einer Weile.

  „Ja, aber nicht irgendeine! Die wird schon seit Monaten gesucht, weil sie schon einige Leute beklaut hat,“ erklärte ihre Freundin.

  „Na, toll!“, entfuhr es Jeanne.

  „Hä?“

  „Katzendämonen sind sehr schnell! Es wird eine Weile dauern, bis wir sie dann erwischt haben!“

  „Oh, nein! Das heißt, bis dahin sind die anderen wach und wir haben das Frühstück noch nicht fertig!“, fiel Navena ein.

  „Ganz genau!“

  „Oh, oh! Hikari wird toben vor Wut...“

  „Jetzt spar dir die Puste und renn!“

  „Wer redet hier denn?“, regte Navena sich auf.

  Jeanne setzte ihre Unschuldsmiene auf. „Ähm, du?“

  Navena blieb stehen. „Ha, ha! Und du nicht, oder was?“ Jeanne stoppte ebenfalls mitten im Rennen.

  „Ich hab nichts gesagt, dass ich nicht rede!“

  „Aber gedacht!“

  „Musst du mir immer widersprechen?“, fragte Jeanne.

  „Musst du immer das letzte Wort haben?“, entgegnete Navena.

  Nun war es Jeanne, die sich aufregte. „Waaas?! Wer hat hier das letzte Wort?“

  „Ähm, du?“, fragte Navena und setzte ebenfalls ihre Unschuldsmiene auf.

  „Ha, ha! Das sagt gerade die Richtige!“, meinte Jeanne spöttisch.

  „Das ist mein Spruch!“, beschwerte sich Navena.

  „Pech!“

  „Wenn ihr dann fertig seid, sagt mir Bescheid, ne?“, rief die Diebin den beiden Streithähnen vom Baum aus zu. Jeanne und Navena stoppten sofort.

  „Hey! Du Diebin! Wer bist du eigentlich?“, rief Navena wütend.

  „Ich? Die Katzendämonin, die seit Monaten gesucht wird,“ entgegnete diese gelangweilt.

  „Du...“

  „Was denn? Das ist die Wahrheit!“

  „Sie wollte eigentlich wissen, wie dein Name lautet!“, mischte sich Jeanne ein. Navena wollte sich beschweren, doch Jeanne unterbrach sie flüsternd. „Überlass sie mir.“

  „Namen hab ich viele. Und alle könnt ihr euch eh nicht merken. Manche nennen mich so und andere so.“

  „Und wie wirst du von den meisten genannt?“

  „Tsuyu. Tsuyu, die Katzendämonin.“

  „Gut, also Tsuyu! Wieso hast du Navena’s Waffen geklaut?“, fragte Jeanne, bemüht zu lächeln.

  „Das ist ganz einfach. Ich sammle alle Sachen, die glitzern,“ erklärte Tsuyu und schwenkte dabei lässig mit dem Bogen, das wegen der neuen Farbe in der Sonne glänzte, „so zum Beispiel auch das Taschenmesser, das du bei dir trägst!“, fügte sie hinzu und sprang vom Baum, um Jeanne den Taschenmesser zu entreissen. Doch diese wich mit Leichtigkeit aus. Tsuyu knurrte wütend.

  „Ich mach dir einen Vorschlag: Ich gebe dir mein Taschenmesser und du gibst Navena dafür ihre Waffen zurück,“ schlug Jeanne vor.

  Tsuyu lachte spöttisch. „Ich tausche nicht. Wenn ich etwas will, dann bekomme ich es und gib es auch nicht mehr zurück!“

  „Tut mir leid, dass ich damit nicht einverstanden bin!“, meinte Jeanne und wich der weiteren Attacke von Tsuyu aus. Diese knurrte wütend.

  „Gib mir das Taschenmesser!!“, rief sie drohend.

  „Wenn Navena ihre Waffen zurückkriegt.“                             

  „Niemals!!“

  „Tja, dann sag ich nur: Selber Schuld!“

  Tsuyu verlor allmählich die Geduld. Wütend riss sie ihr Schwert aus der Schwertscheide. „Ich frage dich noch ein letztes Mal: Gibst du mir dein Taschenmesser?“, fragte sie zornig und richtete ihr Schwert auf Jeanne.

  Jeanne tat so, als ob sie überlegen muss. „Hey, Navena!“, flüsterte sie ihrer Freundin zu, wobei sie ihre Lippen kaum bewegte. „Deine Waffen müssten auf dem Baum liegen! Ich kämpf gegen Tsuyu und lenk sie ab, während du dir deine Waffen wieder zurückholst, okay?“ „In Ordnung!“, flüsterte diese zurück.

  „Und? Wie sieht es aus?“, fragte Tsuyu nochmal.

  „Nein, mein Taschenmesser ist mir viel zu wertvoll, um es dir einfach so zu überlassen!“

  „Gut, dann eben auf die harte Tour!!“

  Tsuyu setzte zum Sprung bereit und griff Jeanne mit dem Schwert an. Diese konnte den Hieb zwar noch abwehren, merkte aber zugleich, dass Tsuyu keine leichte Gegnerin war.

  Unterdessen schlich sich Navena zu dem Baum, auf dem Tsuyu vorhin saß, heran. Und tatsächlich: Da lagen Köcher und Bogen, heil und unversehrt. Schnell schaute sie nach, ob auch kein Pfeil fehlte, bevor sie sich den Köcher um die Schulter warf. Dann blickte sie wieder hinüber zu Jeanne und stellte fest, dass Tsuyu langsam, aber sicher die Oberhand gewann. Ohne zu überlegen schoss sie einen Pfeil ab, der haarscharf an Tsuyu’s Gesicht vorübersauste.

  „Was...?“

  „Gib lieber auf, Katzendämonin! Wir sind beide bewaffnet und du hast nur deine stumpfen Krallen! Du hast keine Chance!!“, rief Navena und spannte einen zweiten Pfeil, den sie auf Tsuyu richtete.

  „Pah, sei dir da nicht so sicher, Druidin!“, meinte Tsuyu nur.

  „Wie meinst du das?“

  „Ach, verdammt! Navena! Sieh zu, dass du dich in Sicherheit bringst! Außerdem hat sie noch ein Schwert, wenn du blind bist!“, rief Jeanne wütend dazwischen und griff Tsuyu an. Diese sprang geschickt zur Seite und wehrte den Angriff so ab, dass Jeanne selbst verletzt wurde.

  „Na, was ist? Ich wusste gar nicht, dass die Schüler von Hikari so schwach sind!“, meinte Tsuyu spöttisch und machte sich für den nächsten Angriff bereit.

  Jeanne lächelte kühn. „Ich glaube, da hab ich dich gewaltig unterschätzt, Tsuyu!“, meinte sie keuchend und blickte sich zu Navena um. „Bist du taub? Du sollst zusehen, dass du dich in Sicherheit bringst!“, flüsterte sie ärgerlich.

  „Kommt nicht in Frage!“, kam es von Navena zurück.

  „Sturrkopf...“

  „Wie bitte?“

  „Ähm, hallo? Seid ihr bald fertig? Ich hab heute nämlich noch Einiges zu tun, statt hier zuzuschauen, wie ihr euch streitet! Inzwischen hätte ich bestimmt schon ganz viele Sachen erbeutet,“ rief Tsuyu dazwischen. Keine Antwort. Jeanne und Navena stritten sich weiter, als ob es gerade nichts Wichtigeres gab. Tsuyu schaute noch eine Weile verdutzt rein, zuckte dann aber nur mit den Schultern und sprang davon.

  Die beiden Streithähne hatten natürlich nicht mitbekommen, dass Tsuyu schon längst über alle Berge war, und stritten sich immer noch.

  „Navena! Jetzt hau schon ab! Tsuyu ist- Wo ist sie eigentlich?“

  „Hä?“

  Erst jetzt bemerkten die beiden, dass Tsuyu spurlos verschwunden war.

  „Öh, und was jetzt?“, fragte Jeanne ihre Freundin und schaute recht verdattert rein.

  „Ähm, schnell zurück und das Frühstück vorbereiten?“, schlug Navena mit einem schiefen Lächeln vor.

 

  „Na endlich! Da seid ihr ja!“, rief Ritchie erleichtert, als sie Jeanne und Navena schon von Weitem sah.

  „Hallo Ritchie! Du bist aber schnell von deiner Erkundung zurück,“ begrüßte Navena diese.

  „Ja, es ging schneller, als ich es gedacht habe! Und ich konnte alles besorgen, was Hikari wollte.“

  „Und Hanako ist auch zurück?“

  „Ja.“

  „Oh, nein! Jetzt ist es aus mit der Ruhe...“

  „Wisst ihr eigentlich, dass wir uns zu Tode gesorgt haben?“, meinte Rin tadelnd.

  „Rin, dir traue ich das auch total zu!“, meinte Jeanne spöttisch.

  „Das war ironisch gemeint!“

  „Gleichfalls.“

  „Jeanne!! Navena!! Hab ich euch vermisst!!“, ertönte eine Stimme und Navena wurde zu Boden gerissen.

  „Wie gesagt, jetzt ist es vorbei mit der Ruhe...,“ meinte Navena nur.

  „Äh, hi Hanako! Auch schon zurück?“, fragte Jeanne.

  „Natürlich! Aber wo wart ihr denn? Wir haben uns halb zu Tode gesorgt! Wir wollten schon Hikari aufwecken, um euch zu suchen!“, erzählte Hanako.

  „Also wirklich, Hanako! Übertreiben darf man schon, aber du übertreibst ja maßlos!“, mischte sich Ruki ein.

  „Wir erzählen euch alles, wenn wir das Frühstück fertig haben,“ versprach Jeanne.

  „Dann könnt ihr es auch jetzt! Rin und Ruki haben’s nämlich schon fertig!“, meinte Ritchie.

  „Echt? Vielen Dank, ihr beiden!“

  „Gern geschehen.“

  „Also? Was ist passiert? Ich platz schon vor Neugier!“, rief Hanako dazwischen.

  Und so erzählten Jeanne und Navena ihren Freundinnen alles, was passiert ist.

  „Das heißt, ihr seid dieser Diebin begegnet und habt gegen sie gekämpft?“, fragte Rin.

  „Ne, Jeanne hat gegen sie gekämpft. Ich hab sie nur fast mit ’nem Pfeil getroffen,“ verbesserte Navena.

  „Oje, das ist gar nicht gut...“, seufzte Ruki besorgt.

  „Wieso?“, fragte Jeanne stirnrunzelnd.

  „Katzendämonen können sehr nachtragend sein! Und diese Tsuyu soll schon mehrere Clans ausgerottet haben!“, erzählte Ritchie.

  „Und woher weißt du das?“, fragte Navena.

  „Hanako und ich wurden geschickt, um herauszufinden, warum in letzter Zeit so viele Clans ausgelöscht worden sind,“ begann Ritchie.

  „...und?“, fragte Navena.

  „Es soll eine Katzendämonin gewesen sein, und zwar eine sehr geschickte noch dazu. Sie hat die Clans immer mitten in der Nacht angegriifen und die Kirits überrascht. Dadurch waren sie im Nachteil und diese konnte ihnen ihre heiligen Waffen entreißen und die Clans so auslöschen,“ erzählte Hanako.

  „Und ihr meint, dass es Tsuyu gewesen ist?“, meinte Jeanne nachdenklich. Keine Feststellung. Eine Frage. Ein Wunsch, weil sie nicht hoffte, dass Tsuyu diese Kiritjägerin ist.

  „Nun, es könnte schon so sein, oder?“

  „Ja, schon, aber dafür gibt es noch keine Beweise! Sie hat viele Menschen im Dorf beraubt, klar. Aber hat sie auch nur irgendjemanden geschadet?“, entfuhr es Navena.

  Jeanne stimmte ihrer Freundin zu. „Navena hat vollkommen Recht! Moment! Ich weiß, was ihr sagen wollt. Mich hat sie angegriffen. Aber dieser Sprung hätte keinen Menschen umgebracht! Außerdem wusste sie, dass Navena und ich Kampfsport können, sonst hätte sie nicht gekämpft!“

  „Jeanne, Navena! Ihr seid viel zu gutmütig, wisst ihr das?“

  „Wir sind nicht zu gutmütig! Wir wollen nur nicht Leute zu irgendetwas beschuldigen, nur weil sie leicht in Verdacht kommen!“

  „Was ist das für ein Radau so früh am Morgen?“, ertönte plötzlich eine strenge Stimme hinter ihnen.

  „Meister!!“, rief Rin erschrocken und verbeugte sich schnell. Die anderen taten es ihr gleich.

  „Also, wirklich! Habt ihr wirklich nichts Besseres zu tun, als euch früh am Morgen zu streiten?“, fragte Hikari. „Also, was ist? Yukiko und Shadow warten schon am Tisch auf euch! Jetzt beeilt euch, damit wir endlich frühstücken können – Käse-Omeletts!“, fügte sie noch grinsend hinzu. Die anderen stöhnten leise auf.

 

  Alle hatten schnell ihr Frühstück runtergeschlungen und machten sich daran, ihre Zeit zu vertreiben. Hanako, Ruki, Rin und Ritchie beschlagnahmten die Trainingshalle für den ganzen Vormittag für's Training, während Yukiko und Shadow im Wald Kräuter sammeln gingen. Jeanne und Navena gingen in die Stadt, um die Einkäufe von Hikari zu erledigen. Stumm machten sie sich auf den Weg.

  „Stimmt etwas nicht?“, fragte Jeanne ihre Freundin nach einer Weile.

  Keine Antowrt.

  „Ähm, Navena?“

  „Hm?“, kam es geistesabwesend von Navena.

  „Ich hab gefragt, ob mit dir alles okay ist,“ wiederholte Jeanne ihr Frage.

  „Ja, eigentlich schon...“

  „Lügnerin! Ich sehe es dir doch an, wenn mit dir etwas nicht stimmt! Also, was ist los?“

  „Es ist nichts!!“ erwiderte Navena ungeduldig.

  Doch Jeanne blieb weiterhin hartnäckig. „Navena! Wir kennen uns von klein auf und haben bis jetzt noch keine Geheimnisse voreinander gehabt. Und jetzt willst du mir ehrlich weismachen, dass mit dir alles okay ist? Hallo?! Seit wann läufst du todernst durch die Straßen und hörst einem nicht zu, hä? Sonst regst du dich im Unterricht bei Hikari immer auf, wenn ich dich was frag, weil du unbedingt zuhören willst! Aber jetzt stimmt da wohl was nicht! Du hälst es normalerweise mindestens nur 10 Sekunden aus, nix zu sagen – ich hab nämlich die Zeit gemessen, und 10 Sekunden war der Rekord und...“

  „Du hast was gemacht?“, unterbrach Navena sie wütend.

  „Ups, verplappert...“

  „Wie war das mit ‚Zeit messen’ und ‚Rekord’??“, fragte Navena ihre Freundin drohend.

  „Äh, wovon redest du...?“, fragte Jeanne und grinste scheinheilig. Sicherheitshalber lief sie ein bisschen schneller – wer weiß, wie ihre Freundin jetzt reagiert!

  „JEANNE!!!! Das gibt Rache!“, entfuhr es Navena. Jeanne machte, dass sie sich in Sicherheit brach und Navena verfolgte ihre Freundin lachend und drohend zugleich.

 

  Unterdessen wurde im Zentrum die neusten Berichte von den verschiedenen Nachbardörfern ausgehängt. Sogleich drängten sich die Leute an der Anschlagetafel, um das Neuste zu erfahren, und es war fast unmöglich, einen Bericht auch nur in Ruhe durchlesen zu können, ohne auch nur irgendwie seinen Kommentar abzugeben. Bald schon verbreiteten sich Gerüchte, sodass keiner mehr genau wusste, was stimmte und was nicht.

 

  Mittlerweile erreichten auch Jeanne und Navena das Zentrum und schnappten hier und dort etwas auf.

  „Sieht aus, als wurden die Berichte inzwischen schon ausgehängt,“ meinte Jeanne.

  „Ja, aber was meinen die mit ‚Mörderelfin’ und ‚Dämonengefahr’, oder so?“, erwiderte Navena nachdenklich.

  Jeanne seufzte. „Weißt du was? Am Besten gehen wir zuerst zur Anschlagetafel und lesen uns erstmal die Berichte durch, bevor wir die Einkäufe erledigen.“

  Navena war damit einverstanden und so machten die beiden erstmal einen Umweg zur Anschlagetafel.

 

  „Ob das stimmt?“

  „Keine Ahnung...“

  „So jung und so brutal! Unglaublich!“

  „Die Jugend von heute halt.“

  Navena hörte das Gemurmel schon von Weitem und näherte sich stirnrunzelnd. Als die Leute diese erblickten, wichen sie erschrocken zurück. Schon nach kurzer Zeit stand niemand mehr vor der Anschlagetafel.

  „Öh, was war denn das?“, fragte Jeanne erstaunt. Navena zuckte nur verwundernd die Schultern und schritt zur Anschlagetafel. Und erstarrte.

  Zwischen den Berichten hing ein Bild. Aber nicht irgendein Bild. Ein Bild von ihr!! Und daneben der Bericht. <<Mörderelfin schlägt erneut zu!!>>, stand da als Überschrift. Wie konnte das sein? Schnell über      flog sie den Bericht und wunderte sich nur noch mehr. Im Nachbardorf, das ziemlich weit entfernt von hier ist, soll diese Mörderelfin am vorherigem Tag Leute umgebracht haben. Und diese Mörderelfin sieht genauso aus wie sie.

  „Navena?“ Navena wurde aus ihren Gedanken gerissen. Erschrocken schaute sie sich um. Es war Jeanne, die ihre Freundin besorgt anschaute.

  „Hey! Alles okay?“, fragte Jeanne ihre Freundin unsicher. Navena nickte zwar zögernd, wirkte aber nicht gerade überzeugend. „Wer kann das bloß sein? Welche Person sieht mir denn ähnlich?“, überlegte sie laut.

  Jeanne schaute Navena an. „Hey, zerbrich dir dabei nicht den Kopf, okay? Wir besorgen schnell die Einkäufe und gehen dann heim, um Hikari um Rat zu fragen!“, schlug sie vor. Navena zögerte kurz, stimmte aber dann ihrer Freundin zu.

 

  Unterdessen trainierten Ruki, Rin, Ritchie und Hanako hart. Naja, alle außer Hanako. Diese saß auf dem Boden und japste nach Luft.

  „Hey, Hanako! Jetzt sei nicht so faul!“, rief Rin keuchend, während sie sich auf den Barren schwang.

  „Ich und faul?? Rin, ich bin 5 Runden gerannt!!“

  Nur 5 Runden?? Das ist jetzt schon meine 35. Runde, Hanako!“, ertönte es von Ritchie, die gerade an Hanako vorbeilief.

  „Genau! Alle trainieren fleißig, Hanako. Und du hockst nur auf dem Boden und keuchst wegen den schlappen 5 Runden!“, stimmte Ruki ebenfalls zu.

  „Ihr seid mal wieder voll nett zu mir, wisst ihr das?“, schmollte Hanako.

  Gerade in diesem Moment hörten sie Stimmen im Flur. Es waren Jeanne und Navena.

  „Hey, die sind ja schon zur-,“ begann Ritchie, wurde aber von Ruki unterbrochen. „Psst, seid mal still!“

 

  „Was hatte das zu bedeuten? Wieso gelte ich über Nacht plötzlich als Mörderelfin?!“ Navena zog ihre Schuhe aus und schmiss sie wütend in eine Ecke.

  „Das hast du mich jetzt schon zum 100. Mal gefragt, Navena! Und ich hab dir auch ab und zu eine Antwort gegeben. Aber genau weiß ich es auch nicht. Wir sollten Meister Hikari fragen!“, schlug Jeanne ihrer Freundin vor.

  „Nein!“

  „Muss ich den Grund wissen...?“

  „Das hier ist meine private Angelegenheit und ich hab keine Lust, dass es jetzt jeder hier erfährt!“, erklärte Navena.

  „Okay, aber dieses Mal waren wir mit den Einkäufen dran, Navena! Das nächste Mal müssen das die anderen erledigen! Irgendwann finden sie das heraus!“

  „Bis dahin ist alles nur noch Geschichte.“

  „Du weißt genau, dass das nicht so schnell geht!“

  „Achja? Und woher willst du das wissen??“

  „Navena!!“

  „Ach, lass mich doch ganz einfach in Ruhe!!“, schrie Navena wütend und rannte hoch in ihr Zimmer.

  Jeanne schaute ihrer Freundin noch eine kurze Weile hinterher, seufzte dann kurz und ging dann in den Stall.

 

  „Was war denn mit den beiden los?“, platzte es aus Hanako heraus.

  „Hä? Wie meinst du das denn wieder?“, bemerkte Rin.

  „Wie oft kann man schon zusehen, dass Navena und Jeanne sich mal richtig streiten? Und wie oft sieht man Navena, wenn sie gereizt ist und Jeanne zusammenstaucht?“, mischte sich Ritchie ein.

  „Hey, stimmt! Navena ist sonst immer die Ruhe selbst! Nur Jeanne regt sich immer so leicht auf, wenn ich sie ärgere!“, bemerkte Hanako. „Wer ärgert hier wen??“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Die 4 zuckten erschrocken zusammen und schauten zur Tür. Jeanne lehnte sich gerade an den Türpfosten und hatte ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt.

 

  „Ähm, bist du nicht in den Stall gegangen?“, fragte Ruki erschrocken, um Jeanne vom Thema abzulenken.

  „Bin ich, aber ich musste nochmal zurück, weil ich was vergessen hatte,“ meinte Jeanne.

  „So...,“ kam es von Rin, die hoffte, dass Jeanne dann wieder gehen würde.

  Eine kurze Weile sagte niemand was. Doch...

  „Ihr habt alles gehört, hab ich Recht?“, fragte Jeanne plötzlich.

  Ritchie seufzte. „Ja, Jeanne, wir haben ungewollt euer Gespräch gehört. Und das mit Navena tut uns echt leid...“

  „Schon okay, das solltet ihr lieber Navena erzählen und nicht mir. Schließlich ist sie es, die davon betroffen ist“, meinte Jeanne nur und verließ die Trainingshalle.

  „Ich glaube, da muss ich ihr ausnahmsweise zustimmen...,“ murmelte Rin.

  Im Eifer des Gespräches hatten sie nicht bemerkt, dass sie jemand am Fenster die ganze Zeit belauscht hatte...

 

  Navena lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke, während sie nachdachte. Sie kapierte es einfach nicht. Jeder in der Stadt wusste, dass sie eine Schülerin von Hikari war und dass ihre Schüler niemals andere Leute umbringen würden. Keine guten und unschuldigen Menschen. Dafür mussten sie einen Eid ablegen, damit Hikari sie als ihre Schüler akzeptierte. Also müssten die Leute das wissen! Doch wieso? Wieso denken jetzt alle, dass sie diese Leute im Nachbardorf umgebracht hatten? Das Nachbardorf ist viel zu weit entfernt! Wie hätte sie in einer so kurzen Zeit es schaffen können, geschwind hinzulaufen, ein paar Menschen umbringen und schnell wieder zurückzugelangen? Sie verstand es echt nicht. Konnte es möglich sein, dass es eine Person gibt, die ihr bis aufs Haar gleicht? Navena verwarf den Gedanken gleich wieder. Das geht nicht! Das wäre kein Zufall mehr! Nur Geschwister könnten sich so sehr ähneln. Doch was wäre, wenn sie Geschwister hätte...?

  Navena wurde aus ihren Gedanken gerissen, weil jemand klopfte. Stirnrunzelnd schaute sie zum Fenster. Und erstarrte. Vor dem Fenster stand eine Elfin mit hellgrünen Haaren und dunkelgrünen Strähnchen, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Ihre tiefgrünen Augen schauten Navena halb belustigt, halb interessiert an. Navena stockte den Atem.

  Diese Elfin war sie selber?!

  „Wer bist du?“, fragte Navena die Elfin unsicher. Diese lachte nur und deutete ihr mit einer Geste an, das Fenster aufzumachen. Navena tat es widerwillig.

  „Also, wer bist du?“, wiederholte Navena ihre Frage. Die Elfin lachte erneut. „Kannst du es dir denn nicht denken? Gib es doch zu, Navena! Du ahnst schon, wer ich bin“, antwortete sie.

  „Schon möglich. Aber ich wünschte, dass ich es nicht ahne!“

  „Hat dir eigentlich schon jemand gesagt, wer deine Eltern sind?“, fragte die Elfin weiter.

  „...wieso willst du das wissen?”

  „Ich bin nur neugierig, das ist alles!“

  „So! Dann muss ich dir es ja nicht sagen, oder?”

  Die Elfin seufzte. „Du weißt es also nicht.”

  „Doch, aber ich sag es dir nicht!”, kam es nur spöttisch von Navena zurück. Nach einer Weile fragte sie: „Wie heißt du überhaupt?“

  „Whisperwind.“

  Navena starrte die Elfin entgeistert an. Das kann doch nicht sein, oder...?

  „Nun, ich bin gerade nicht wirklich ich! Ich bin ein Teil meiner Seele, die aus meinem Körper entkommen ist, Navena. Und nun bin ich hier, um dich um Hilfe zu bitten...“

  „Nein, ich werde dir ganz bestimmt nicht helfen! Du warst es, die so viele unschuldige Menschen getötet hat. Glaubst du allen Ernstes, dass ich dir wirklich helfen würde? Einer Mörderin??“, entfuhr es Navena wütend.

  „Ich war es nicht, Navena...“

  „Achja, und wer dann?“

 

  Währenddessen hatte Jeanne schon die Einhörner gestriegelt und ihnen das Futter bereitgestellt. Jetzt mistete sie eine Box nach der anderen aus. Doch sie war unkonzentriert. Immer wieder musste sie an den Moment zurückdenken, wo sie in der Stadt den Bericht auf der Anschlagetafel gelesen hatten, wie Navena zu Hause ausgeflippt ist und sich die beiden gestritten hatten.

  Trotz allem konnte Jeanne ihrer Freundin nicht sauer sein, obwohl sie allen Grund dazu hatte. Sie verstand sie und wollte ihr helfen.

  Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. „Glaubst du allen Ernstes, dass ich dir wirklich  helfen würde? Einer Mörderin?“, ertönte es schreiend aus Navena’s Zimmer. Erschrocken schaute sie auf das Fenster von ihrem Zimmer, konnte aber nichts erkennen.

  „Ich glaube, es wäre am Besten, wenn ich die Tür benutze...,“ dachte sie bei sich und rannte ins Haus.

 

  „Natürlich, du warst es nicht, sondern ich, oder was?“, meinte Navena spöttisch.

  „Nein, Navena! Es war mein Körper, den meine finstere Seele besetzt hat...,“ erklärte Whisperwind traurig. Navena starrte sie entgeistert an.

  „Hä?!“

 

  Inziwschen erreichte Jeanne Navena’s Zimmer und wollte gerade hineinstürmen, als sie dann inne hielt. Vielleicht wäre es besser, wenn sie draußen zuhörte, worum es geht, statt einfach hineinzustürmen? Sie entschied sich für die zweite Möglichkeit und presste ihr Ohr gegen die Tür...

 

  „Jeder Mensch hat seine guten und bösen Seiten. Meistens ist der finstere Teil der Seele sehr klein, dass er keinen Schaden anrichten kann. Aber je nachdem kann dieser Teil wachsen und so die Oberhand über den guten Teil gewinnen, sodass der gute Teil langsam aus dem Körper verschwindet. Bei mir war es so. Ich bin in die Lehre von dem Schattenmagier Yami eingetreten – ein Fehler, den ich vermutlich nie wieder gutmachen kann! Er brachte mir die finstere Magie bei, die mich Stück für Stück beeinflusste. Mein finsterer Teil gewann die Oberhand und bannte mich aus dem Körper, sodass ich als verlorene Seele auf dieser Welt herumirrte und jemanden suchte, der mir helfen konnte...“

 

  Jeanne stand draußen vor der Tür und hielt sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund. Whisperwinds Erklärungen hallen immer wieder in ihrem Ohr. „Jeder Mensch hat seine guten und bösen Seiten... seine guten und bösen Seiten... seine guten und bösen Seiten...“

 

  „Und du hast dann zufällig mich gefunden oder was?“, kam es von Navena spöttisch.

  „Ja, ich hatte gehofft, dass du mir helfen könntest, weil du mein- ... ich meine, weil du auch eine Elfin bist, genau wie ich.“

  „Nur, weil ich eine Elfin bin? Whisperwind! Du verheimlichst mir doch irgendwas!“, meinte Navena misstrauisch und schaute der Elfin tief in die Augen.

  Die schaute rasch zur Seite. „Nein... wie kommst du darauf?“

  Navena schaute Whisperwind – oder ihre Seele – prüfend an. Irgendwas hat sie ihr nicht erzählt, das spürte sie genau. Sonst hätte sie sich nicht so schnell zur Seite gedreht und hätte auch ganz bestimmt nicht so knapp geantwortet. Doch das war im Moment nicht so wichtig. Sie hatte einen Entschluss zu fassen. Sollte sie ihr nun helfen oder nicht?

  Stattdessen fragte sie stirnrunzelnd: „War dieser Schattenmagier Yami nicht mal ein Schüler von Meister Hikari?“ Die Frage sollte so beiläufig wie möglich klingen.

  „Ja, aber weil er sich dann nur noch auf die finstere Magie konzentriert hatte, wurde er von Hikari aus der Lehre entlassen,“ erzählte Whisperwind und hoffte insgeheim, dass Navena ihr helfen würde.

  „So...“

 

  Jeanne sackte auf die Knie und blieb erschrocken sitzen. Was sie gerade eben gehört hatte, war zu viel! Hikari hatte einen Schüler aus ihrer Lehre verbannt. Whisperwind war der gute Teil ihrer Seele und gleichzeitig eine Elfin, die Navena um Hilfe bat, weil diese auch eine Elfin war. Aber wie soll Navena Whisperwind denn helfen?

 

  „Und wie soll ich dir helfen? Und überhaupt, wobei soll ich dir helfen?“, fragte Navena.

  „Ich habe dich gesucht, um dich zu bitten, mir dabei zu helfen, dass ich wieder in meinen Körper komme und die Oberhand gegen den bösen Teil meiner Seele gewinne.“

 

  Jeanne runzelte die Stirn und presste sich weiter an die Tür, um die beiden besser hören zu können. Wie würde sich ihre Freundin entscheiden? Würde sie einer fremden Person bzw. Seele helfen?

 

  „Nicht, dass ich dir nicht helfen will... nur, wie kann ich dir helfen? Wie soll ich es schaffen, dass du wieder in deinen Körper gelangst und dann noch gewinnst?“, fragte Navena verwundert.

  „Oh, das muss ich alleine tun. Aber dazu darf ich nicht gestört werden. Ich will, dass ihr Yami ablenkt, damit ich ungestört in meinem Körper gelangen kann,“ erklärte Whisperwind.

  Navena überlegte kurz, dann stimmte sie zu. „Gut, ich werde dir helfen!“, rief sie entschlossen. Whisperwind lächelte erleichtert.

  „Gut, aber ich muss jetzt gehen, weil ich noch was zu erledigen hab. Wir werden uns bestimmt noch treffen. Doch es wäre am Besten, dass du zuvor noch Informationen sammelt. Der beste Weg wäre, wenn du im Sternengebirge, beim Kristallfluss und im Schattenwald einen längeren Halt machen würdest. Denn die Clans bzw. Schulen dort wissen genau über den Schattenmagier Yami Bescheid und werden dir sicher helfen!“

  „Gut, mach ich!“, kam es von Navena. Dankbar lächelnd schwang sich Whisperwind aus dem Fenster und war im nächsten Moment verschwunden.

  Navena stand noch eine Weile am Fenster und blickte lange in die Richtung, in der Whisperwind verschwunden war. Dabei plante sie sorgfältig, wie sie als Nächstes vorgehen würde.

 

  Jeanne lächelte still. Es war ihr klar, dass Navena ohne zu zögern Whisperwind helfen wollte – dazu kannte sie ihre Freundin einfach zu gut. Und vermutlich würde sie nachts heimlich weggehen, ohne Hikari oder ihr und den anderen Bescheid zu sagen. Sie atmetete tief durch und fasste einen recht gewagten Entschluss...

 

  Es war Nacht geworden und alle schliefen. Fast alle. Navena schwang sich ihren Köcher auf den Rücken und nahm die vollgestopfte Satteltasche, um heimlich in den Stall zu schleichen, was ihr auch recht gut gelang. Liebevoll streichelte sie ihr Einhorn über die Mähne.

  „Keine Angst, Silivren, ich bin es nur,“ flüsterte sie ihr beruhigend zu. Silivren wieherte leicht. Schnell band sie ihrem Einhorn Sattel, Zaumzeug und Satteltasche um und führte es so leise wie möglich aus dem Stall. In der Eile hatte sie nicht bemerkt, dass die Box von Crystal, Jeanne’s Einhorn, leer stand...

 

  „Ruhig, Crystal,“ flüsterte Jeanne ihrem Einhorn beruhigend zu. „Navena und Silivren müssten jederzeit kommen!“ Crystal lief unruhig ein paar Schritte zurück „Nein, Crystal! Sonst sehe ich nicht, ob sie kommen!“, sagte Jeanne und streichelte es, damit es sich endlich beruhigt.

  Seufzend schaute sie wieder zurück auf den Weg, der als einzigster aus der Schule von Hikari führt. Ob Navena es auch geschafft hatte, sich hinauszuschleichen? Sie hoffte es.

  Crystal schnaubte leise und stellte seine Ohren auf..

 

  „Super, Silivren! Wir sind aus der Schule raus!“, freute sich Navena, als sie die Schule hinter sich gelassen hatten. Silivren wieherte nur und verlangsamte sein Tempo. „Silivren, was...?“, wunderte sich Navena, als eine Gestalt aus dem Gebüsch trat.

  „Jeanne??“, rief Navena erstaunt auf.

  „Ich hab mir schon gedacht, dass du nachts heimlich aufbrichst,“ meinte Jeanne grinsend.

  „Du hast uns heute Morgen belauscht!“, stellte Navena fest und tat so, als ob sie sich darüber empörte.

  „Das könnte man auch schonender sagen...“

  „Lass mich raten: Die anderen wissen alle Bescheid und erwarten uns gleich in den nächsten 5 Metern?“

  „Hälst du mich zufällig für Hanako?“, entrüstete Jeanne sich.

  „Bei dir weiß man nie...,“ kam die spöttische Antwort von Navena fies grinsend zurück.

  „Wie nett.“

  „Ich bin immer nett!“

  Jeanne seufzte. „Schon gut, ich ergebe mich. Aber wir sollten lieber zusehen, dass wir hier wegkommen! Falls Hikari wach wird und registriert, dass wir nicht da sind... oh, oh... böse Vorstellung...“

  „Da hast du mal ausnahmsweise eine gute Idee gehabt!“, entgegnete Navena grinsend.

 

  Hikari hatte währenddessen alles durch ihre Lichtkugel beobachtet. Ein Lächeln huschte über ihrem Mund. „Das war mal wieder typisch für die beiden, einfach heimlich aus der Schule zu schleichen, ohne mir Bescheid zu sagen...“

 

  „Hey, Navena! Warte mal!!“, rief Jeanne ihrer Freundin zu.

  „Was ist denn?“, fragte diese leicht gereizt.

  Jeanne zeigte mit ihrem Finger in die Ferne. „Da! Ist dort nicht das Sternengebirge, von dem Whisperwind dir gestern erzählt hatte?“, fragte sie.

  „Ja, da ist das Sternengebirge! Aber wir müssen erstmal hier den Berg hinunter, um überhaupt hinüberzukommen, oder?“

  „Woher sollte ich denn wissen, dass du sie schon entdeckt hattest?“

  „Für wie blöd hälst du micht eigentlich?“

  Jeanne wollte was sagen, hielt sich jedoch zurück. Seitdem Navena die Nachricht mit der Mörderelfin gelesen hatte, hatte sie sich vollkommen verändert. Sie war oft gereizt und meckerte über jede Kleinigkeit.

  Jeanne seufzte. Sie hoffte, dass dieses Verhalten nur vorrübergehend war und nicht für lange Zeit anhalten würde. Denn wenn Navena mal schlecht gelaunt ist, ist es für die Menschen in ihrem Umfeld dir reinste Hölle...

  „Sag mal, träumst du oder warum beeilst du dich nicht ein bisschen? Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit!“, ertönte Navena’s Stimme.

  Jeanne versuchte, sich zu konzentrieren und folgte ihrer Freundin.

 

  „Hey, Jeanne! Kannst du vorne schon etwas erkennen?“, fragte Navena und duckte sich erneut, damit sie keinen Ast ins Gesicht geschleudert bekam.

  Jeanne schaute angestrengt nach vorne. „Nein, nichts als Bäume und Gebüsche!“, meinte sie.

  „Ach, verdammt! Wieso hab ich eigentlich zugesagt, Whisperwind zu helfen?“, beklagte sich Navena – und wich gerade rechtzeitig einem Ast aus.

  „Na, na, willst du jetzt etwa umkehren?“, fragte Jeanne grinsend – und bekam einen Ast ins Gesicht. „Autsch!“

  „Haha! Selber Schuld! Das kommt davon, wenn man beim Reiten nicht nach vorne schaut!“, kam es von Navena lachend zurück.

  Jeanne verdrehte die Augen. Wenn sie sich blamierte, schaffte sie es immer, Navena zum Lachen zu bringen – auch wenn das mit dem Ast nicht wirklich geplant war...

  „Glaubst du, wir schaffen es vor Tagesanbruch, das Sternengebirge zu erreichen?“, fragte Navena ihre Freundin, nachdem sie sich beruhigt hatte. Diese zuckte die Schultern.
  „Da fragst du die Falsche, Navena. Ich war dort nämlich noch nie...“

 

  Stunden später brach der neue Morgen an und Jeanne und Navena erreichten endlich ihr Ziel: Das Sternengebirge.

  „Puh, das wurde aber auch Zeit!“, rief Navena erleichtert.

  „Ja, und ich glaube, dass ich Schlafmangel bekomme. Ich bin sowas von müde!“, meinte Jeanne und gähnte zur Demonstration.

  „Wenn ich mich nicht täusche, befindet sich im Sternengebirge eine Schule...,“ erzählte Navena und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

  Jeanne lachte. „Und ich glaube, dass du damit gar nicht so falsch liegst!“, sagte sie und zeigte in die Ferne. Dort stand eine gigantische Burg, dessen Oberfläche in der Sonne zu schimmern schien. „Siehst du die Flaggen? Dort ist das Wappen von der <<Schule der Sternen>> drauf! Schau mal genau hin!“

  Navena schaute genauer hin, schüttelte aber dann den Kopf. „Ich kann nicht wirklich was erkennen – die Sonne blendet mich.“

  „Dann lass uns dorthin! Crystal und Silivren sind sicher auch total erschöpft. Wir sollten den beiden mal eine Pause gönnen!“, schlug Jeanne ihrer Freundin vor. Diese nickte zustimmend.

  „Na, dann los!“, rief Navena und die beiden ritten um die Wette Richtung „die Schule der Sterne“.

 

  Jeanne stieg leicht keuchend von Crystal ab. Wieder einmal hatte sie gegen Navena verloren und hatte gerade erst ihr Ziel erreicht. Navena und Silivren erwarteten die beiden schon.

  „Na, endlich da?“, fragte Navena ihre Freundin grinsend.

  „Sieht... sieht so aus...,“ meinte Jeanne atemlos und japste keuchend nach Luft. Bevor Navena noch was erwidern konnte, wurde das Tor von der <<Schule der Sterne>> aufgeschlossen. Ein junges Mädchen mit langen blauen Haaren trat heraus. Überrascht erblickte sie den beiden Freundinnen ins Gesicht.

  „Oh, wer seid ihr denn?“, fragte sie erstaunt.

  „Ich bin Navena und das ist meine Freundin Jeanne. Und Crystal und Silivren, unsere Einhörner, die uns hierher gebracht haben,“ erklärte Navena.

  „Und wer bist du eigentlich?“, fragte Jeanne.

  „Ich heiße Sirius, genauso wie der Stern im Sternbild des Großen Hundes. Ich bin eine Schülerin von der <<Schule der Sterne>>,“ antwortete diese.

  „Wäre es möglich, dass wir bei euch eine kleine Rast einlegen würden?“

  „Klar, kein Problem. Folgt mir!“

 

  „Hey, Hanako! Aufstehen!!“, rief Ruki ihrer Freundin zu. Diese murmelte irgendetwas Unverständliches und rieb sich müde die Augen. Ruki lachte.

  „Ich bin zwar auch müde, aber es hilft nichts, Hana-Chan! Vergiss nicht, dass heute die Prüfungen sind und...“ Mit einem Schlag war Hanako hellwach.

  „Was?? Die Prüfungen? Oh, nein! Wir sind viel zu spät dran!! Wie soll ich in dieser kurzen Zeit denn alles vorbereiten?? Nur 10 Minuten!! Das ist nicht wahr! Wieso ist die Welt nur so ungerecht?“

  Während sie sich über jede Kleinigkeit aufregte, sprang sie aus dem Bett und begann, sich umzuziehen und zugleich ihre Haare zu kämmen. Ruki stand grinsend daneben und beobachtete ihre Freundin. Das war mal wieder typisch Hanako. Sobald es um Prüfungen geht, ist sie sofort hellwach und könnte tagelang ohne Schlaf auskommen – hauptsache, sie kriegt eine Note, die ihrer Meinung nach gut genug ist...

  In diesem Moment klopfte es an ihrer Zimmertür. „Hanako? Ruki? Seid ihr wach?“, ertönte es von Ritchie. Ruki lief zur Tür und öffnete sie. Rin begrüßte die beiden gut gelaunt.

  „Guten Morgen zusammen! Na, gut erholt?“, fragte sie sogleich.

  „Ich ja, aber Hana-Chan...“ Ruki schaute grinsend zu Hanako rüber, die sich gerade ihr Hemd zuknöpfte und ihren Kamm zwischen den Zähnen festhielt. Ein komischer Anblick, bei dem sich Ruki beherrschen musste, nicht loszulachen.

  „Morgen, Hana-Chan! Wie geht’s?“, fragte Rin ebenfalls grinsend.

  „Guch. Ich much mich halch beeichen.“

  „Aha, alles verstanden...“, kam es von Rin.

  „Wieso muss du dich beeilen??“, fragte Ritchie und tat verwundert.

  „Prüchungen, chon vergechen?“, versuchte Hanako zu erklären – immer noch mit dem Kamm zwischen den Zähnen. Doch dann bemerkte sie die grinsenden Gesichter ihrer Freundinnen und runzelte nachdenklich die Stirn. Hatte sie was falsch gemacht?

 

  „Also seid ihr beide Schülerinnen von Meisterin Hikari von der <<Schule des Lichts>>?“, fragte Sirius erstaunt. Navena nickte und wölbte stolz ihre Brust, was Jeanne ein wenig übertrieben fand.

  „Und wieso seid ihr jetzt hier? Wollt ihr die Schule wechseln?“

  „Das bleibt vorerst noch geheim!“, meinte Jeanne nur und grinste ihrer Freundin verschwörerisch zu.

 

  „Stimmt, was nicht, Hana-Chan?“, fragte Ruki und versuchte, sich das Grinsen zu verkneifen. Rin und Ritchie hatten vor Anstrengung schon ganz rote Gesichter, stellte Hanako besorgt fest.

  „Rin, Ritchie... alles okay mit euch? Ihr seid so rot im Gesicht... habt ihr Fieber?“, fragte sie. Das war zu viel. Die drei Freundinnen prusteten gleichzeitig los und mussten sich gegenseitig stützen, damit sie nicht vor Lachen umfielen. Hanako sah nur irritiert von einer zur anderen und verstand nicht, was los war. „Ähm, geht’s euch noch gut??“, fragte sie unsicher.

  Rin hatte sich als Erste wieder gefangen. Bemüht, nicht zu lachen, versuchte sie Hanako die Situation zu erklären. „Also, Hana-Chan, jetzt hör mir mal gut zu: Wir schreiben heute weder einen Test noch haben wir eine mündliche Prüfung bei Hikari. Du verstehst?“

  Die arme Hanako schaute zuerst noch stirnrunzelnd in die Runde, als es dann endlich bei ihr <klick!> machte. Sofort beschwerte sie sich. „Was fällt euch ein, mich so zu erschrecken?? Wisst ihr, dass ich 1000 Tode gestorben bin wegen euch??“, entkam es ihr halb lachend, halb verzweifelt.

  „Schon. Aber dadurch bist du immerhin wach geworden, oder?“, meinte Ritchie nur lachend, wodurch sie eine spöttischen Blick von Hanako erntete.

  „Jetzt ist es aber genug! Wir wollten doch mit Jeanne und Navena trainieren gehen! Wahrscheinlich liegen die beiden immer noch in ihre Betten! Kommt! Wir wollen sie wecken gehen!“, schlug Ruki fies grinsend vor. Die anderen stimmten ihr begeistert zu.

 

  „Eure Namen... sind das nicht gleichzeitig auch Sternnamen?“, fragte Jeanne Sirius, die ihr und Navena eine Liste mit allen Schülerrinnen der Schule zeigte. Navena schaute ihre Freundin erstaunt an. Was die mal wieder alles weiß an Stelle vom Unterrichtsstoff.

  Sirius nickte anerkennend. „Nicht schlecht. Aber es ist kein Zufall. Die Leute, die keinen Sternnamen haben, bekommen hier einen und werden dann auch so genannt. Das ist eine der Vorschriften an dieser Schule,“ erklärte sie.

  „Und wetten, dass ihr nur bestimmte Kleidungen tragen dürft?“, meinte Navena nun grinsend. Sirius sah Navena an, als ob sie sich gerade als Außerirdische entpuppt hat.

  „Sag mal, woher wisst ihr das alles? Ihr könnt einem echt Angst einjagen!!“

  „Tja...“

  „Kannst du uns vielleicht zu deiner Meisterin führen? Wie heißt die denn nochmal?“, mischte sich Jeanne ein.

  „Polaris. Und ja, ich kann euch hinführen. Aber erst, wenn sie wach ist. Mit anderen Worten: Ihr müsst euch noch ein paar Stündchen gedulden!“, erklärte Sirius.

  „Kein Problem.“

  „Vielleicht könntest du uns ja mal ein Zimmer anbieten, wo wir uns ausruhen können, da wir bestimmt für längere Zeit hierbleiben werden,“ schlug Navena grinsend vor.

 

  „Hm... kein einziges Schnarchgeräusch... ob die schon wach sind?“, murmelte Rin und schaute Ruki fragend an.

  „Weiß nicht. Aber das wär’ eigentlich ein Wunder, denn die beiden sind eigentlich Langschläfer! Das weißt du doch, Rin,“ meinte Ruki flüsternd zurück.

  „Aber du weißt genauso gut wie ich, dass die beiden normalerweise schnarchen.“

  „Auch wieder wahr...“

 

  „Hey, Hana-Chan! Hörst du, ob sie schon wach sind?“, fragte Rin Hanako, die mit Ritchie den Anfang bildete. Diese schüttelte gerade den Kopf, als Ritchie die Tür von Navena und Jeanne’s Zimmer mit einem Ruck aufriss. „Jeanne! Navena! Zeit zum Aufste-“, rief sie munter, als sie sich mittendrin unterbrach.

  „Ritchie? Ist was passiert?“, fragte Ruki , als sie Ritchie’s erschrockenen Blick sah. Als diese nicht antwortete, drängte sie sich energisch an Hanako vorbei und warf einen Blick ins Zimmer. Keine Spur von Jeanne und Navena...

  „Was ist denn los?“, ertönte Hanako’s besorgte Stimme aus dem Hintergrund.

  „Eine Sensation! Die beiden sind schon wach!“, meinte Ruki und ließ ihr Blick nochmals im Zimmer schweifen. Irgendwas stimmte hier nicht, das sagte ihr Gefühl.

  „Eeecht?!“, kam es von der überraschten Hanako. Rin blieb vor Staunen der Mund offen stehen.

  „Ja, die beiden müssten inzwischen schon wach sein. In ihrem Zimmer sind sie jedenfalls nicht,“ kam es von Ritchie. „M-hm“, machte Ruki nur und blickte sich immer noch im Zimmer um.

  „Na, wenn das so ist, sollen wir die beiden nicht suchen gehen?“, schlug Hanako vor, die sich allmählich von ihrem Schock erholt hat.

  „Gute Idee!“, meinte Ritchie und die beiden ließen Rin und Ruki alleine, um Navena und Jeanne zu suchen.

 

  Währenddessen schweifte Ruki’s Blick ziellos im Raum umher, als ihr Blick an einen dunkelroten Briefumschlag auf Jeanne’s Schreibtisch hängen blieb. Mit einigen Schritten war sie dort und begutachtete den Umschlag, auf dem <An Rin und Ruki> geschrieben stand.

  „Hey, Rin! Hier ist ein Brief von Jeanne an uns beide!“, rief Ruki ihrer Freundin zu. Rin schaute verblüfft auf den Umschlag in Ruki’s Hand. „An uns?“, fragte sie erstaunt. Ruki nickte. Mit schnellen Schritten lief Rin zu ihr und schnappte sich den dunkelroten Briefumschlag.

  „Du hast Recht! Aber bist du dir sicher, das er von Jeanne ist? Was ist, wenn es eine Falle ist?“, fragte Rin unsicher.

  „Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass er von Jeanne ist. Sie benutzt doch immer nur dunkelrotes Briefpapier mit dunkelroten Umschlägen, schon vergessen? Außerdem würde ich ihre Schrift im Dunkeln wiedererkennen! Nur sie schreibt so sauber!“, erklärte Ruki.

  „Navena hat auch eine saubere Schrift!“, versuchte Rin zu widersprechen.

  „Stimmt, aber sie benutzt nur grünes Briefpapier mit grünen Umschlägen! Und ihre Schrift ist nicht sauber, ihre Schrift ist cool!“, meinte Ruki grinsend.

  „Sei froh, dass ich gerade die einzigste Zeugin bin...“, kam es von Rin grinsend zurück.

  „Tja! Darf ich jetzt den Brief aufmachen?“, fragte Ruki ungeduldig.

  „Von mir aus!“

  Neugierig riss Ruki den Briefumschlag auf und entfaltete ein dunkelrotes Papier, auf der Jeanne’s säuberliche Handschrift zum Vorschein kam. Sie strich es glatt und breitete es auf Jeanne’s Schreibtisch aus. Die beiden beugten sich über das Papier und begannen zu lesen.

 

 

 

  Rin schaute Ruki verdutzt an. „Ähm, heißt der Magier jetzt Yami oder Wami??“, fragte sie verdutzt.

  „Ich denk mal, dass Jeanne sich mal wieder verschrieben hat und der Magier Yami heißt,“ meinte Ruki und las sich den Brief noch einige Male durch.

  „Und was machen wir jetzt?“, fragte Rin.

  Ruki sah ihre Freundin grinsend an und steckte den Brief zurück in den Umschlag. „Jetzt? Jetzt packen wir alle nötigen Sachen für unsere Reise heute Abend zusammen!“

 

  Inzwischen hatte Sirius Jeanne und Navena ihre Zimmer gezeigt und sicherheitshalber auch passende Klamotten bereit gelegt. „Für alle Fälle! Falls Polaris gerade schlechte Laune hat, müsst ihr euch ebenfalls an die Regeln halten!“, hatte sie erklärt. Jetzt waren die drei auf dem Weg zum Büro von Polaris.

  „Navena? Hast du eine Idee, was wir Polaris sagen sollen, falls sie uns fragt, warum wir für eine Weile hierbleiben wollen?“, fragte Jeanne ihre Freundin flüsternd.

  „Sagen wir mal so... wenn ich dir die Aufgabe geben sollte, sämtliche Antworten parat zu halten, würdest du dich vermutlich vor lauter Nervosität verplappern!“, flüsterte Navena zurück und lief sicherheitshalber ein bisschen schneller.

  „So? Wenn du der Meinung bist, dann überlasse ich alles dir!“, antwortete Jeanne schnippisch.

  „Ähm, wenn ich euch unterbrechen darf, ihr zwei... Wir sind da!“, unterbrach Sirius die beiden Streithähne. Die beiden hörten augenblicklich auf mit ihren sinnlosen Streit. Sie waren an einer Tür stehengeblieben, die mit Sternen und Sternschnuppen bemalt war. Außerdem hing daran noch ein Schild, auf der mit schnörkeliger Schrift <<Sekretariat>> stand.

  „Also, bist du soweit?“, fragte Jeanne Navena seufzend.

  „Klar! Jederzeit!“, kam es von Navena grinsend zurück. Jeanne unterdrückte sich ihr Grinsen und klopfte an die Tür.

  „Herein!“, ertönte es von innen.

  Navena atmetete erstmal tief ein, bevor sie die Tür öffnete und eintrat. Jeanne und Sirius folgten ihr.

  Eine Frau saß am Schreibtisch und schrieb gerade etwas auf ein Stück Pergamentpapier. Ihre langen blauen Haare waren kunstvoll mit goldenen Haarnadeln zusammengesteckt und einzelne Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Endlich legte sie ihre Feder beiseite und schaute auf.

  „Nanu? Sirius? Was machst du denn hier? Solltest du nicht lieber für die Prüfung morgen trainieren?“, fragte die Frau überrascht.

  „Das stimmt, Meister! Aber als ich heute Morgen das Tor öffnete, standen diese beiden hier davor und baten mich, sie zu Euch zu führen. Sie haben extra so lange gewartet, bis ich sicher war, dass Ihr auch bestimmt schon wach seid,“ erzählte Sirius höflich.

  „Hast du unseren Besuch wenigstens ein geeignetes Zimmer gezeigt?“

  „Jawohl, Meister!“

  „Sehr gut. Dann darfst du dich jetzt entfernen, Sirius!“

  „Jawohl.“ Sirius verbeugte sich und verließ dann den Raum.

  Die Frau wandte sich lächelnd Navena und Jeanne zu. „Erstmal herzlich willkommen in der <<Schule der Sterne>>! Ich bin Polaris und leite diese Schule hier im Sternengebirge. Ihr wolltet mich sprechen?“

  Navena nickte. „Es stimmt, Sensei. Wir sind Schülerinnen von der <<Schule des Lichts>>, die von Meister Hikari gegründet worden ist. Mein Name ist Navena und das ist meine Freundin Jeanne.“

  Polaris lächelte. „So. Und warum wolltet ihr mich so dringend sprechen?“

  Navena zögerte. Sollte sie den wahren Grund der Gründerin von der <<Schule der Sterne>> verraten? Fragend schaute sie zu Jeanne rüber – und nickte ihr dann kurz zu. Diese verstand und wandte sich an Polaris.

  „Wir wollten Sie fragen, ob Sie etwas über den Schattenmagier Yami wissen.“

 

  Navena schaute Jeanne erstaunt an. Sie hatte eigentlich erwartet, dass sie auch die Sache mit Whisperwind verraten würde, aber wie sich herausstellte, war Jeanne doch schlauer, als sie manchmal vorgab...

  Polaris’ Lächeln erstarrte. Entsetzt schaute sie die beiden Freundinnen an. „Was...? Wieso...? Warum wollt ihr was über einen... einen Magier aus einer Legende erfahren? Es gibt ihn gar nicht!“, brach sie dann stockend hervor.

  Navena setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf. „Wir haben nur gehört, dass er einmal ein Schüler von Meister war, Sensei. Aber so, wie wir Menschen sind, wird Meister uns bestimmt nichts über einen Schüler verraten, den sie damals aus ihrer Lehre verbannt hat. Deshalb haben wir gedacht, dass wir euch fragen, Sensei,“ erzählte sie.

  „Mich?“, fragte diese, bemüht, überrascht zu klingen.

  „Ja, Sie, Sensei. Sie sind doch sehr gut mit Meister befreundet!“, fuhr Jeanne hastig dazwischen.

  Polaris überlegte kurz. „Nein, tut mir leid, dass ich euch nicht helfen kann. Aber ich weiß auch nur, dass Yami von Hikari aus der Lehre verbannt wurde, weil er anfing, dunkle Magie zu gebrauchen. Also, wenn sonst nichts weiter ist, dann dürft ihr jetzt gehen. Ich habe zu tun!“ Und mit diesen Worten wurden Jeanne und Navena aus Polaris’ Büro „vertrieben“.

 

  Ruki kramte in ihrer Kommode nach und suchte verzweifelt nach ihrem Buch <<Zaubersprüche – für Zuhause und unterwegs>>, was sie vermutlich verlegt hatte. Gerade in diesen Moment stürmte Rin ins Zimmer.

  „Ruki? Was machst du da??“, fragte Rin, als sie den Chaos in ihren Zimmer sah. Ruki grummelte etwas, was sie nicht verstand. „Ich hab gerade unseren Einhörnern genügend Futter bereitgestellt. Heute Nacht können wir dann aufbrechen,“ erzählte Rin.

  Endlich schaute Ruki mal hoch und zog triumphierend ihr Buch aus den Klamotten-Stapeln. „Na endlich! Das Buch such’ ich schon seit Stunden!“, rief sie glücklich und packte es sogleich in die Satteltasche.

  Dann endlich wandte sie sich Rin zu. „Das ist gut. Ich hab auch alles Nötige zusammengepackt. Und unsere Waffen tragen wir ja immer bei uns.“

  Rin nickte zustimmend. „Sollten wir unsere Rüstungs-Anzüge nicht mitnehmen?“, fragte sie nachdenklich.

  „Stimmt!“, entfuhr es Ruki und sie schnippste mit den Fingern. „Aber die Taschen sind schon voll... Am besten, wir ziehen sie gleich an. Nachts kann es in den Wäldern sehr unangenehm werden!“

  „Gute Idee!“

  „Also, nach dem Abendessen brechen wir auf.“

 

  „Was war denn das?“, fragte Jeanne verdutzt, als sie vor dem Büro standen. Navena deutete ihr mit einer Geste an, das sie nachdachte. Jeanne konnte die einzelnen Zahnräder förmlich in Navena’s Kopf sehen, die sich rasend schnell drehten und bedrohlich laut knatterten und knirschten.

  „Polaris hat uns nicht die Wahrheit erzählt,“ entfuhr es Navena plötzlich. Jeanne schaute ihre Freundin noch verdutzter an.

  „Hä?“

  Navena sah Jeanne gereizt an. „Hast du nicht gesehen, wie ihr Lächeln mittendrin erstarrte, als du von ihr verlangt hast, dass wir Informationen über Yami sammeln wollen? Sie war so entsetzt, dass sie sogar stotterte, weil sie dachte, dass... ach, was weiß ich! Weil sie dachte, dass wir uns für schwarze Magie interessieren oder sonst sowas in der Art!“, erklärte Navena Jeanne ungeduldig.  „Deswegen hat sie uns wahrscheinlich auch rausgeschmissen. Vermutlich misstraut sie uns jetzt.“

  Jeanne sah besorgt rein. „Das wäre gar nicht gut...“

  „Nichts zu machen. Wir hätten uns gleich denken sollen, dass das keine gute Idee war,“ meinte Navena seufzend. „Und jetzt? Wie sollen wir an Informationen zu Yami kommen?“

  Jeanne schnippste grinsend mit den Fingern – ein Zeichen dafür, dass sie eine gute Idee hat. „Ich hab’s! Ich könnte heute Abend schon zu Informationen kommen, wenn alles gut läuft!“, sagte sie triumphierend. Jetzt war es Navena, die verdutzt reinschaute.

  „Hä?“

 

  „Mann, bin ich voll!“, rief Hanako heraus und gähnte hinter ihrer Hand.

  „Müde?“, fragte Ruki geistesabwesend.

  „Na klar! Ich hab gestern immerhin nur 5 Stunden geschlafen.“

  „Soll das irgendeine Anspielung sein?“, mischte sich Ritchie in das Gespräch ein.

  „Nö... wie kommst du drauf?“, fragte Hanako scheinheilig.

  „Naja, Ruki und Rin wollten noch ein wenig üben gehen. Also lassen wir euch mal alleine. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen?“, bemerkte Rin seufzend und lief mit Ruki in ihr Zimmer, Hanako und Ritchie hinter sich lassend, die viel zu sehr in ihrem Gespräch vertieft waren, um zu merken, dass sie alleingelassen wurden.

 

  Als Navena in ihr Zimmer trat, lag Jeanne schon in ihren Bett und schlief, wobei sie die Nachttischlampe angelassen hatte, das das Zimmer in einem matten Gelbton erhellte. Sie beobachtete ihre schlafende Freundin grinsend. Dann blieb ihr Blick auf ein golden verziertes Buch hängen, in dessen Seiten ein Lesezeichen eingeklemmt war. Neugierig nahm sie das Buch in die Hände und betrachtete es. Auf dem Einband war der Titel <<Mythen und Legenden>> eingeprägt. Die Interesse geweckt, blätterte Navena ein paar Seiten durch, wobei sie sich auf Jeanne’s Bettkante niederließ. Nicht lange und sie wurde von der Welt der Mythen und Legenden gefesselt.

 

  Zur gleichen Zeit sattelten Rin und Ruki ihre Einhörner und befestigten daran ihre Satteltaschen. Lautlos führten sie diese dann aus der Schule und ritten sogleich Richtung Kristallfluss, um dort auf Jeanne und Navena zu treffen.

  „Glaubst du, dass wir heute noch ankommen?“, fragte Ruki Rin.

  „Schwer zu sagen. Aber ich denke, dass wir so gegen Morgengrauen beim Sternengebirge ankommen werden,“ vermutete Rin.

  „Das wäre nicht schlecht. Vielleicht sind Jeanne und Navena ja noch da und wir können anschließend gemeinsam zum Kristallfluss reiten!“, meinte Ruki hoffnungsvoll.

  Rin lachte. „Je mehr Narren, desto besser das Lachen, oder wie auch immer? Du hast Recht. Zu viert wird so ‚ne Reise bestimmt viel lustiger!“

 

  Unterdessen befand sich Jeanne in der „Traumwelt“ und irrte mal wieder ziellos umher. Sie wollte so schnell wie möglich ihre Lehrerin finden, weil sie auf die Idee gekommen ist, diese nach Informationen zu fragen, da sie vermutet, dass diese etwas weiß. „Hoffentlich,“ dachte sie, „hoffentlich kann sie mir auch dieses Mal helfen!“

  Zu ihren Glück fand sie wenigstens das Wolkenschloss schneller als sonst. Ihre Lehrerin trat gerade heraus. Diese war vielleicht überrascht, als sie ihre Schülerin so früh schon sah.

  „Nanu? Jeanne! Was machst du denn so früh schon hier?“, fragte sie überrascht.

  „Sensei! Bitte! Ich habe eine ganz dringende Frage!! Hoffentlich könnt Ihr mir helfen!“ Diese schaute Jeanne verwundert an. Das war das erste Mal, dass sie Jeanne so aufgeregt erlebt. „Sensei! Wissen Sie vielleicht etwas über den Schattenmagier Yami?“, fragte Jeanne.

  Genau wie bei Polaris erstarrte Jeanne’s Lehrerin von einer Sekunde zur anderen. „Was?? Aber... Jeanne! Wieso fragst du mich plötzlich solche Sachen? Und... woher weißt du etwas von einem Schattenmagier namens Yami? Wer hat dir das erzählt?“, fragte sie entsetzt.

  Jeanne trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. „Sensei, bitte! Die Zeit drängt! Ich will nur einer Freundin von Navena helfen, die sie um Hilfe gebeten hatte! Und dazu benötigen wir alle möglichen Informationen zu Yami! Bitte, Sensei! Ihr wisst doch ganz bestimmt was!“, drängte sie ihre Lehrerin flehend.

  Diese schaute Jeanne mit besorgter Miene an. „Jeanne. Ich bin nicht die Richtige, die dir darüber was erzählen kann, aber... ich werde dir helfen. In der <<Schule der Sterne>> gibt es eine Sternenbibliothek. Dort kannst du in den Büchern <<Zaubersprüche und Flüche>>, <<Magier, Krieger und Dämonen>>, <<Mythen und Legenden>> und <<Dörfer und Clans>> etwas über ihn herausfinden. Doch wo genau diese Bücher stehen, das kann ich dir nicht sagen. Und sei vorsichtig! Die Sternenbibliothek ist groß und man verirrt sich da leicht! Markiert euren Weg am besten!“, riet diese ihr.

  „Aber Sensei, wo...?“ Weiter kam Jeanne mit ihrer Frage nicht, denn wie einige Tage zuvor löste sich das Schloss plötzlich auf und sie wurde zurückgezogen. Dann sank sie in die Finsternis...

 

  „Jeanne! JEANNE!!! Wach auf, verdammt nochmal!!“ Navena rüttelte grob an Jeanne’s Schulter und versuchte ihr Möglichstes, um ihre Freundin aufzuwecken, als diese sich mit einem Mal kerzengerade aufrichtete und vor sich hinstarrte.

  „Jeanne! Hörst du mich?“, fragte Navena unsicher. Keine Antwort. „Jeanne??“

  Endlich drehte sich Jeanne zu Navena um – und blickte ihr wütend ins Gesicht. „Was hab ich denn gemacht? Ich hab dich doch nur geweckt!“, verteidigte sie sich erschrocken.

  „Genau! Du hast mich geweckt! Und zwar gerade dann, als ich von Sensei wissen wollte, wo die Sternenbibliothek ist, wo wir dort dann Informationen zu Yami finden können!!“, rief Jeanne wütend.

  „’Tschuldigung, konnte ich ja nicht wissen!“, meinte Navena und seufzte. Jeanne schnaubte wütend „Echt, Jeanne! Das wollte ich nicht. Aber ich hab hier in deinem Buch auch etwas Interessantes herausgefunden.“

  Mit einem Schlag war Jeanne’s Wut verflogen. „Mein Buch?? Bist du dir sicher? Ich hab nämlich keine Bücher mitgenommen!“, meinte sie und schaute Navena verwundert an.

  Nun war es Navena, die Jeanne erstaunt anstarrte. „Was?! Aber... das Buch lag hier auf deinem Nachttisch! Und dein Lesezeichen steckte drin!“

  „Zeig mal her!“, forderte Jeanne ihre Freundin auf.

  Navena reichte Jeanne das Buch in die Hand. Diese las sich den Titel durch und schaute ihre Freundin dann fröhlich an. „Navena! Du bist spitze!!“, entfuhr es ihr.

  „Hä?“

  „In diesem Buch können wir etwas über Yami herausfinden!! Das hat mir Sensei erzählt!“

  „Deswegen hab ich dich aber nicht geweckt, Jeanne,“ sagte Navena und nahm Jeanne das Buch aus der Hand.

  „Was...?“

  Navena schlug eine bestimmte Seite auf und zeigte auf ein Bild. „Schau dir das mal an. Ist das nicht zufällig dein Schwert?“, fragte sie ihre Freundin.

  Jeanne schaute sich das Bild genauer an. „Ja, schon. Und weiter?“

  „Warte mal, auf ’ner anderen Seite ist die Beschreibung... da! Hier, lies mal!“

 

Das Phönix-Schwert
Das Phönix-Schwert ist eine der heiligen Waffen, die existiert haben. Zuvor hat es der Oberhäuptin des Phönix-Clans gehört, die als eine der mächtigsten Kriegerinnen galt. Doch vor einigen Jahren wurde der Phönix-Clan ausgelöscht und nur wenige Phönix-Kirits überlebten.Auch das Phönix-Schwert verschwand und niemand weiß, was heute daraus geworden ist. Gerüchten zufolge soll die Oberhäuptin überlebt haben und nach einer ebenbürdigen Erbin suchen, die mit dem Schwert umgehen kann, ohne beim Anfassen des Schwert sofort zu Staub zu zerfallen. Soweit die Information stimmt, war die letzte Oberhäuptin Kajika. 

 

  Jeanne schaute nochmals auf das Bild. Kein Zweifel. Das abgebildete Schwert ist ihr Schwert. Kein Wunder, dass Sensei sie beim ersten Mal fürsorglich gewarnt hat, nicht jedem das Schwert zu zeigen. Aber woher hatte Sensei das Schwert? Wenn die Gerüchte wirklich stimmen, dann würde es ja heißen, dass Sensei die Oberhäuptin des Phönix-Clans war - Kajika! Jeanne schüttelte entschlossen den Kopf. Das kann nicht sein! Oder doch? Aber das wären doch viel zu viele Zufälle auf einmal! Wieso sollte die Oberhäuptin Kajika ausgerechnet sie, Jeanne, ein junges, naives Mädchen im Alter von sechzehn Jahren, als Erbin ansehen? Und wer sagt denn, dass ihr Schwert wirklich das Phönix-Schwert ist?

  „Hey, Jeanne! Alles okay?“, fragte Navena ihre Freundin und schaute sie besorgt an.

  Jeanne seufzte. „Nein, nichts ist okay! Mein Kopf platzt gleich wegen den vielen Fragen, die mir keiner beantwroten kann!“, meinte sie und ließ sich auf ihren Kissen fallen. Sie fühlte sich auf einmal total erschöpft und hatte gerade überhaupt keine Lust, über Yami oder Sensei oder das Phönix-Schwert nachzudenken.

  „Vielleicht sollten wir uns erstmal ausruhen und morgen darüber weiterreden,“ meinte Navena und löschte das Licht.

 

  Als der neue Morgen anbrach, kamen Rin und Ruki dann endlich im Sternengebirge an. Rin war mal wieder „sehr gesprächig“, weil sie so müde war, dass sie jederzeit auf ihrem Einhorn einschlafen könnte.

  „Was meinst du? Sollen wir uns ein bisschen in der <<Schule der Sterne>> ausruhen?“, fragte Ruki und gähnte.

  „Mhm...“, meinte Rin nur geistesabwesend.

  „Mann, bist du gesprächig...“

 

  Als Rin und Ruki an der <<Schule der Sterne>> ankamen, machte gerade ein kleines Mädchen mit blau-grünen, langen Haaren das Tor auf. Sie erblickte die beiden Freundinnen, die vor Müdigkeit jederzeit vom Einhorn runterfallen könnten.

  „Nanu? Wer seid ihr denn?“, fragte sie.

  „Ich bin Ruki. Und das hier ist meine Freundin Rin,“ stellte Ruki sich und Rin vor.

  „Mhm...“

  „Aha!“, machte das Mädchen nur.

  „Wir sind Schülerinnen von der <<Schule des Lichts>> und... äh... und machen einen Ausflug. Da wir aber schon ziemlich lange unterwegs waren, wollten wir fragen, ob wir hier ’ne kurze Rast einlegen können,“ erzählte Ruki.

  „Mhm...“

  Das Mädchen schaute skeptisch zu Rin rüber. „Sag mal, ist deine Freundin immer so gesprächig?“, fragte es.

  „Nein. Eigentlich nur, wenn sie müde ist,“ meinte Ruki entschuldigend.

  „Mhm...“

 

 

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